Montag, 20. Juni 2016

Ich bin angfressen!

Eigentlich heißt dieser Blog ja "Sarah ganz weit weg".
Naja, so ganz weit weg bin ich ja jetzt nicht mehr, in Wien lebend und studierend. Oder vielleicht doch, weil zu meinen kenianischen Freunden und Freundinnen ist es jetzt ja schon ein ganz schönes Stück. Da kommen die meisten aber auch nicht dazu, das hier zu lesen, Sprachbarriere und so. Aber das ist ja jetzt auch nebensächlich.

Ich hab gedacht, ich muss wieder schreiben. Nicht über Kenia, über ganz weit weg, sodern über hier und jetzt und Österreich und Europa und überhaupt. Weil seit ein paar Wochen hat mich eine gewisse Unruhe ergriffen, und ich überlege, was ich damit anfangen kann. Weil ich mir anschau, was so passiert, mit Österreich und seiner Gesellschaft, mit Europa und den Menschen, die hier leben und die hierher kommen. Ich muss zugeben, ich habe die Medien sehr lange immer nur am Rande mitverfolgt, politischen Geschehnissen nur marginal meine Aufmerksamkeit geschenkt und war mehr mit meinen eigenen Interessen beschäftigt. Und ich werde jetzt hier keine neuen Erleuchtungen präsentieren, nichts sagen, was nicht schon gesagt wurde, ich bin nicht der informierteste Mensch und kann sicher niemanden belehren. Aber in den letzten Monaten habe ich mich zunehmend geärgert, kam mir hilflos und wie ein hoffnungsloses Naivchen vor, das plötzlich in die Realität geworfen wird. Wenn man schon von der berühmten Blase spricht. Und ich hab überlegt, was ich machen kann. Den ersten Gedanken - "naja, eigentlich eh nix" - will ich nicht mehr akzeptieren. Weil tun kann man immer was.

Manche Leute gehen auf Demos. Andere engagieren sich in Vereinen. Wieder andere teilen ihre Meinung auf Facebook. Alles nicht so meins. Ich halte mich meistens zurück, meine Meinung öffentlich in sozialen Medien zu formulieren. Weil es mich manchmal selber nervt, dauernd Missstände unter die Nase gerieben zu bekommen, und wenn sich gerade Tausende zu einem hochaktuellen Thema äußern, kommt mir mein persönlicher Beitrag dazu meistens überflüssig vor. Naja, genug davon, ich will dies hier nicht zu einem Beitrag zur Rechtfertigung meines persönlichen Verhaltens verkommen lassen. Also, ich bin angfressen, und ich will was tun. Und ich hab mal darüber nachgedacht, was ich tun kann, und da ist mir eben das Schreiben eingefallen. Und wenn es nur eine veröffentlichte Selbsttherapie wird, weil mir danach einfach ein bisschen leichter wird, auch gut!

Warum ich angfressen bin? Was ich eigentlich sagen will? Ich bin angfressen, weil ein Norbert Hofer die Hälfte der Wählerstimmen bekommt. Ich könnte stundenlang darüber wettern, was auf rechtsextremen Facebook-Seiten für Aussagen gemacht werden, ohne dass die Autoren zur Ordnung gerufen werden. Und damit meine ich nicht nur die Klassiker wie Straches Fanpage oder die von Hofer. Ich hab vor Kurzem angefangen, mir das mal faustdick zu geben und die Masse an fragwürdigen Seiten zu durchforsten. Weil ich es wichtig finde, zu wissen, wie diese Menschen denken und womit sie argumentieren. Und was man da findet, das hat mich wirklich wütend gemacht. Seit ich immer wieder solche einschlägigen Seiten besuche, bekomme ich von Facebook auch permanent neue vorgeschlagen. Ich brauche mich gar nicht mehr zu bemühen, zu suchen, die Seiten finden mich. Und gegen manche dieser Seiten sind die HC Strache Fanpage harmlos. Ich habe also angefangen, Seiten, die mich schlichtweg fassungslos gemacht haben, zu melden. Die Rückmeldung von Facebook war ausschließlich: "Diese Seite verstößt nicht gegen unsere Gemeinschaftsstandards." Nachstehend noch der Hinweis, dass ich einzelne Beiträge melden könne, dann würden die  Seiten genauer überprüft werden. Also habe ich mir die Gemeinschaftsstandards von Facebook noch einmal durchgelesen und mir angeschaut, welche Beiträge ich melden könnte. Und das war frustrierend, weil ich sehr wenige gefunden habe. Denn es ist mir schon klar, dass auch Menschen mit anderer Meinung diese ausdrücken dürfen müssen. Und solange bei diesen Posts keine direkten Angriffe oder Beleidigungen auftreten, kann ich verstehen, dass man diese nicht löschen kann. Und wenn in den Kommentaren steht, dass man Flüchtlinge erschlagen sollte, dann hat damit offenbar der Seiteneigentümer nichts zu tun. Ich habe dann angefangen, derlei Kommentare zu melden. Aber ganz ehrlich, da wirst du alt dabei, und dafür war mir meine Zeit dann auch zu schade. Zurück zu dem Problem, das ich mit diesen Seiten habe: sie posten Artikel über Ereignisse, die sich schon so zugetragen haben mögen. Das Gefährliche sind die Verbindungen, die sie herstellen, und die Generalisierungen. Und die Tatsache, dass sie eine Plattform bieten für eindeutig hetzerische, rassistische Aussagen, animiert durch die Posts auf solchen Seiten.

Wem das alles zu abstrakt ist, was ich hier gerade sage, der möge sich ein Bild machen an einem Beispiel von vielen:

https://www.facebook.com/BewareOfIslam/?fref=ts

Kurz gesagt beschreibt sich diese Seite als islamkritisch und stellt alle Muslime als Islamisten dar. Mehr will ich gar nicht sagen, ich habe jetzt schon das Gefühl, dieser Text hier wird endlos lange.

Ich bin also auch angfressen auf Facebook, weil es nicht gegen Gemeinschaftsstandards verstößt, offen beleidigend, hetzerisch und diskriminierend gegen andere Gruppen vorzugehen. Dass es okay ist, den Wunsch zu äußern, andere Menschen mögen auf eine gewaltsame Weise zu Tode kommen.

Das machen aber nicht nur die Rechtsextremen. Es gibt auch von linken Gegenbewegungen Aktionen, auf die ich angfressen bin. Ich habe den Spieß umgedreht und auch hier zu suchen begonnen, und es gibt sehr wohl linksorientierte Seiten, die Hiebe weit unter der Gürtellinie austeilen. Und auch wenn ich über manche der Witze und Posts im ersten Moment schmunzeln muss, stellt sich dann trotzdem die Frage: Was soll das? Hat es denn schon jemals, im Kleinen oder im Großen, irgendetwas genutzt, auf einem solch niedrigen Niveau jemanden davon zu überzeugen, seine Einstellung noch einmal zu überdenken und dem Gegenüber Gehör zu schenken? Ist da schon jemals ein Dialog entstanden? Ich denke, das Größte, das dabei rauskommen kann, sind sich gegenseitig ins Gesicht geschrieene Monologe, bei denen der Andere nur zuhört (wenn überhaupt), um etwas dagegen sagen zu können, nicht um das Gesagte irgendwie zu verstehen (diese Formulierung habe ich leicht abgewandelt von einem Ted-Talk geklaut - https://www.youtube.com/watch?v=R1vskiVDwl4). Wenn ich so etwas sehe, denke ich mir nur: Warum? Bitte, erklärt es mir! Ich will es wissen, genauso wie ich wissen will, warum es diesen Fremdenhass gibt.

Dass Angst dabei eine Rolle spielt, dem stimme ich bedingt zu. Xenophobie, die Angst vor dem Fremden, die zu Rassismus wird. Aber ab einem gewissen Punkt wird es für mich zu einer faulen Ausrede. "Ich bin nicht rassistisch, ich habe nur Angst." Okay, wenn man Angst vor Spinnen hat, nimmt man den Schlapfen und schlägt sie tot. Oder lässt sie von jemand anderem totschlagen. Oder entfernt sie einfach. Aber das können wir mit Menschen nunmal nicht tun (und sollten vielleicht bei Spinnen auch nicht). Und wenn ich Angst vor etwas habe, muss ich mich dieser Angst stellen. Ich muss herausfinden, warum ich Angst habe und schauen, ob diese Angst denn begründet ist. Wenn ich Prüfungsangst habe, werde ich auch versuchen, diese in den Griff zu bekommen, oder ich verwirkliche aus lauter Angst meine Träume nicht und führe vielleicht ein unzufriedenes Leben. Man kann den Gedanken ja selbst weiterspinnen.

Die Angst also, die dann Gewalt legitimiert. Und dann jene, die zu Gewalt gegen Gewalt aufrufen. Und dann die Gewalt gegen Gewalt gegen Gewalt? Warum muss ich bei einer Demonstration mit Glasflaschen und Steinen werfen? Und warum muss ich bei einer Demonstration mit Glasflaschen und Steinen werfen, weil die anderen das auch tun? Drängt sich die Sinnlosigkeit dieses Verhaltens nicht mit schmerzhafter Eindeutigkeit auf?

Ich bin angfressen, weil man sich wie Kinder am Spielplatz streitet.
 "Du denkst das, das ist falsch, du bist dumm."
- "Nein, du denkst falsch, du bist dumm."
Das können wir doch besser! Wenn mir jemand unter der Gürtellinie daherkommt, dann gebe ich ihm doch nicht die Befriedigung, mich darauf einzulassen. Weder auf persönlicher noch auf gesellschaftlicher und schon gar nicht auf politischer Ebene.

Worauf ich noch angfressen bin: sexualisierte Gewalt. Die Tatsache, dass Frauen, die öffentlich eine Meinung vertreten, mit so komplexen und vielschichten Formen von Drohungen und Gewalt umgehen müssen. Die Tatsache, dass es einfach immer noch etwas anderes ist, wenn Frauen sich zu Wort melden, als wenn Männer das tun. Die Tatsache, dass so viele Leute des Feminismus schon überdrüssig sind. Ich nehme mich da nicht aus. Vor ein paar Jahren hab ich noch gesagt, ich bin Antifeministin, weil ich einfach nicht wusste, was Feminismus eigentlich genau ist, und wo er wirklich überall greift. Weil ich die Debatte über die Änderung des Textes unsere Nationalhymne lächerlich fand (wobei ich sagen muss, die Energie hätte man trotzdem besser in andere Bereiche der Gleichberechtigung von Frauen und Männern stecken können). Ich bin angfressen, dass so ein großes Ding ist, seine Sexualität zu definieren, ob man Männer liebt, ob man Frauen liebt, ob man Männer und Frauen liebt, ob man selbst Mann, Frau oder irgendwas dazwischen ist. Und dass es so eine große Sache ist, wenn man nicht dem als "richtig" kommunizierten Bild der Öffentlichkeit entspricht. Dass es überhaupt ein "richtiges" Konzept gibt. Dass eine Partei Homosexualität als "anatürlich" bezeichnet. Dass eine Partei Homosexuellen ihre Rechte nehmen will, und dass Homosexuelle überhaupt eigene Rechte brauchen. Warum können nicht einfach Menschen Menschen lieben, und damit basta?

Ich weiß, sudern ist leicht. Man kann immer alles schnell und gut kritisieren. Viel schwieriger ist es, Lösungen zu finden, Lösungsvorschläge zu machen. Ich habe leider auch recht wenige. Was mir in dieser ganzen Debatte, ob das jetzt Frauenrechte, Homophobie oder Fremdenfeindlichkeit ist, auffällt, ist, dass man zu wenig zuhört, zu wenig versucht, zu verstehen. Um jemandem erfolgreich in einer Diskussion widersprechen zu können, muss ich zuerst verstanden haben, was diese Person eigentlich meint. Und wenn ich verstanden habe, muss ich darüber nachdenken, warum ich anders denke, und das der anderen Person begreiflich machen. Vielleicht kommt am Ende raus, dass die Ansichten ja gar nicht so unterschiedlich sind. Vielleicht ist in irgendeinem Gedankengang der Hund drin, und man muss diesen Gedankengang mal Schritt für Schritt durchgegangen sein, um den Fehler aufzudecken. Das ist ja auch so, wenn in Mathematik ein anderes Ergebnis rauskommt, als erwartet. Man muss etwas zumindest ansatzweise verstehen, um es bearbeiten zu können. Und man lernt auch vieles dazu, wenn man sich bemüht, zu verstehen. Reden, zuhören, verstehen. Nicht schreien, und mit Beleidigungen und Dingen um sich werfen. Auf beiden Seiten. Ich weiß, das ist schwierig, und ich stoße auch immer wieder an meine Grenzen, wenn ich in einem Thema einfach zu emotional drinstecke. Es erfordert eine Engelsgeduld und eine hohe Frustrationsgrenze. Aber einer muss immer anfangen, der oder die G'scheitere zu sein. Sonst wird das nix.

Aber wie gesagt, eigentlich nichts Neues. Keine Offenbarungen in diesem Text, vielleicht eher eine Zusammenfassung dessen, was sich manche denken oder nicht denken. Warum ich das schreibe, ist, weil das mein Versuch ist, etwas zu tun. Dazu wurde ich in letzter Zeit von anderen Menschen ermutigt, die ebenfalls ihre Meinung sagen, einfach, damit sie gesagt ist. Und ich finde das toll! Ich möchte hier kein schlechtes Gewissen machen, oder Moralpredigten vom Stapel lassen. Aber ich nehme das hier als Möglichkeit, etwas zu tun, und will sagen: Wenn ihr was machen wollt, tut es einfach! Wenn ihr was sagen wollt, raus damit! Lasst euch nicht einschüchtern von der Reaktion der anderen.

Man muss keinen Verein gründen, nicht sein Leben einer Sache verschreiben, Großartigkeiten vom Zaun brechen. Es reicht vielleicht, sich mit den blauwählenden Großeltern (na, wenn ich mich da keines Klischees bediene) zuhause hinzusetzen, und sie einfach mal zu fragen, warum sie denn diese Partei so toll finden. Und ihnen zeigen, was  das bedeutet. Vielleicht wird das frustrierend, vielleicht wird man aber auch überrascht. Zuhören kann manchmal Wunder bewirken. Wenn sich das Gegenüber in seiner Person und Überzeugung respektiert sieht, ist es auch viel offener für andere Sichtweisen. Wenn mir jemand gleich kommt mit "Dein Text ist scheiße!" bin ich schon viel weniger gewillt, der darauffolgenden Kritik zuzuhören, als wenn es heißt "Ich respektiere deine Meinung, aber ich kann dir da nicht zustimmen, WEIL...".

Oder man informiert sich, denkt über etwas nach, diskutiert mit anderen, begibt sich manchmal aus seiner Komfortzone, aus seiner "Blase" und schaut sich an, was die Menschen außerhalb des Freundeskreises eigentlich denken. Seid kreativ! Wenn wir etwas in der Gesellschaft ändern wollen, müssen wir bei uns selbst ansetzen!




Samstag, 22. August 2015

Zurück

Zurueck nach Kenia also. Nach einem Jahr.Nach einem Jahr, in dem sich irgendwie alles und gar nichts veraendert hat. Fuer mich zumindest. Was erzaehlt man auf ein "How have you been?" Wo beginnt man, wo hoert man auf, was kommt rein in die Geschichte, was laest man weg? Was ist ueberhaupt wichtig? Fragen, die nebenbei in meinen Gedanken aufblitzen, waehrend ich in der S-Bahn von Wien Mitte zum Flughafen sitze. Aufgeregt bin ich nicht. Ich fahr ja in kein fremdes Land. Irgendwie fahre ich nach Hause. Von einem Zuhause ins naechste.
Am Flughafen bin ich viel zu frueh. Aus Langeweile esse ich meinen ganzen Reiseproviant auf. Der Mann neben mir schaut immer wieder auf meine Brote, aber als ich ihm eins anbiete, lehnt er ab.Beim Boarden hoere ich zwei Menschen hinter mir in sehr kenianischem Englisch reden. Die Realitaet holt mich kurz ein: Ich fliege nach Kenia! Dann zurueck in Reisemodus, in dem man irgendwie ueberall und nirgends hingehoert, zischen den Welten schwebt, nicht ganz weg und noch nicht ganz da.
Wirklich vorbereitet bin ich nicht, geplant ist auch nix, das wird schon irgendwie.
Der Flug von Wien nach Addis Abbaba ist durchzogen von Wachtrauemen und wunderschoenen Bildern von den Sternen und dem Mond. Unter mir immer wieder die schimmernden Lichter von Staedten, wie Tropfen von flouriszierender Farbe, die auf die Erde geprasselt sind. Auch der Sonnenaufgang geizt nicht mit seiner Pracht. Zwischenlandung - der Anschlussflug hat Verspaetung. Als ich mit steifem Genick hochschrecke - wann bin ich denn weggenickt? - bekomm ich ein ungutes Gefuehl, ich weiss nicht, wie ich heute noch nach Eldoret kommen soll. Naja, hakuna matata!
Ich lande in Nairobi, meine kenianische Sim-Karte funktioniert nicht mehr. Am Schalter fuer das Visum pocht mir das Herz so fest gegen den Brustkorb, dass es wehtut. Wohl noch eine alte Gewohnheit vom letzten Jahr. Aber alles klappt reibungslos, das neue E-Visum ist wohl doch nicht so bloed!
Aus einem unerfindlichen Grund nehme ich den Bus in die Stadt (zugegeben, ein Taxi kostet einfach das 25-Fache), der geschlagene drei Stunden bis zum Ziel braucht. Nach Eldoret zu fahren, kann ich vergessen, es ist schon spaet. Ich stelle mich in einem Geschaeft an, um eine neue Sim-Karte zu kaufen, das dauert wieder eine kleine Ewigkeit. Ich kann niemanden erreichen, mein Rucksack ist schwer, ich habe Durst und bin angepisst, im Eilzugtempo durchlaufe ich einen Mini-Kulturschock. Ich checke ins naechstbeste Hostel ein und bemitleide mich kurz selbst. Endlich erreiche ich Mercy, und auch die anderen Leute, die zu erreichen versucht hatte, melden sich zurueck. Nach einer kleinen Pause gehe ich nochmal raus auf die Strassen. Jetzt kann ich die Atmosphaere geniessen, mich in den Rhythmus der Stadt fallenlassen. Ein warmer Schauer durchlaeuuft meinen Koerper, ein Laecheln bahnt sich seinen Weg auf meine Lippen: Ich bin wieder da! Ich bin zurueck in Kenia!

Die Fahrt nach Eldoret verlaueft reibungslos, und ploetzlich steht auch schon Mercy vor mir.
Wir wissen beide nicht so recht, was wir sagen sollen, ist das hier echt? Schon geht's auf nach Outspan, wo meine Freundin jetzt wohnt. Ich muss erst mal kurz durchatmen, es war schon klar, dass ihr Haus klein sein wuerde, aber so klein? Wie sollen wie hier zu viert schlafen? Das ist kein Problem, meint Mercy, sie und die Kinder legen einfach Matratzen auf den Boden. Ich krieg natuerlich das Bett.
Outspan liegt etwas ausserhalb von Eldoret und ist schoen ruhig und friedlich. Die Ruhe und der Frieden sind jedoch vorbei, als die Nachbarin das Radio aufdreht. Dieses Radio wird mich noch in den Wahnsinn treiben, Gott sei Dank weiss ich das zu dem Zeitpunkt noch nicht. Das Plumpsklo in dem Wohnplot ist so klein und eng, dass ich zuerst nicht weiss, wie ich tun soll. Die richtige, an Akrobatik grenzende, Position ist aber schnell gefunden. Ich bin froh, keine hundert Kilo zu haben, damit ist man an diesem stillen Oertchen aufgeschmissen. Ich raste das Wochenende, dann geht's das erste Mal ab ins Rescue Centre. Ich bin gespannt, wie der Ort jetzt aussieht, und was sich veraendert hat, mein Gefuehl ist etwas mulmig, weil ich viele Geschichten gehoert habe. Immer diese Geschichten. Als haetten Menschen nichts besseres zu tun, als Halbwahrheiten ueber Dinge zu verbreiten!
Ich geh schnurstracks hinauf zur Dining Hall, dann trauich mich doch nicht hinein. Ich bin ein wenig unruhig und aufgeregt. Vorsichtig strecke ich den Kopf durch die Tuer, es ist dunkel im Speisesaal, ich sehe mehrere Augenpaare auf mich gerichtet, eine Sekunde spaeter blitzen die dazugehoerigen weissen Zaehne auf. Im Nu bin ich umringt von meinen alten Freunden, mit denen ich so viele Dinge erlebt habe, das Jahr zuvor. Und sie haben mich sofort wiedererkannt. Ich muss mich zusammenreissen, um nicht loszuheulen.
Es ist ein schoener Tag, und ich verbringe ihn mit all denen, die noch uebriggeblieben sind im Centre. Es sind viele neue Kinder und viele neue Mitarbeiter da.
Die naechsten Tage pendle ich zwischen Outspan und dem Rescue Centre hin und her. Ich bin wieder voll hier. Ein Wochenende fahre ich mit Mercy nach Chavakali, dem Heimatort ihres Mannes. Der Ort ist sehr gruen, sehr abgeschottet vom Rest der Welt und sehr entspannend. Die Woche darauf nimmt sich mein Koerper eine Pause, ich hab mir wohl sorichtig den Magen verdorben. Nach einer Nacht mit Schuettelfrost und Fieber ist aber wieder alles in Ordnung.
Jetzt sitze ich in Nairobi in einem Internetcafe und habe nur einen Bruchteil von dem aufgeschrieben, was ich eigentlich geplant hatte. Aber die Tastatur ist der letzte Schrott und ich habe noch so viel zu tun! Heute Nacht geht's ab nach Kisumu, und ich habe nur mehr knapp zwei Wochen in Eldoret.
Dies sollte also einfach mal als Lebenszeichen dienen. Es geht mir sehr gut hier, ich geniesse die Zeit und das Leben ist schoen!
Zur richtigen Zeit gibt es auch sicher noch mehr zu lesen, aber fuer jetzt muss das hier genuegen.
Tippfehler seien mir verziehen - die Tastatur ist wie gesagt Schrott.









Donnerstag, 8. Mai 2014

Einfach alles weg


Manchmal hätt ich die größte Lust, einfach alles herzugeben und mit einer Kuh, zwei Schafen und zehn Hühnern auf eine Alm zu ziehen. Dort Gemüse zu pflanzen und in einer Holzhütte ohne Wasser und Strom zu leben. Weil, mal ehrlich, man braucht nicht mehr. Dann wäre ich einfach weit weg von der ganzen Scheiße, die hier läuft. Sind wir eigentlich noch zu retten? Was ist das Problem, wenn man sich vor seiner eigenen Spezies ekelt? Der Blick für das Wesentliche ist einem zu bedeutenden Teil unserer Gesellschaft abhanden gekommen. Menschen versinken in Luxusproblem-Krisen. Menschen sind selbstzentriert. Nein, das ist unfair von mir. Menschen nehmen sehr wohl Anteil am Leben anderer. Über Facebook zum Beispiel. Und wenn Ungerechtigkeiten passieren, kann man darauf zählen, dass sofort sehr viele Leute das wieder geradebiegen, wenn eine Frau redet, bevor sie denkt zum Beispiel. Da passiert ein Zusammenwirken von Leuten, die sich nicht einmal kennen, das ist so ergreifend, dass es mir eine Gänsehaut aufzieht. Über den ganzen Körper!!!  In einer überwältigenden Eigendynamik ballt sich der Hass Vieler zusammen und entlädt sich auf eine Person. Und das bei sehr wichtigen Themen. Dass die landeseigene  Musikbranche durch den Dreck gezogen wurde, das kann man natürlich nicht so stehen lassen. Ich bin ganz gerührt, wenn ich das sogar hier in Kenia mitbekomm, wieviel sich meine Landsleute um Andere kümmern, wieviel Anteil sie nehmen. So groß war meine Rührung, dass ich es nicht mehr ertragen konnte und mich jetzt erstmal dauerhaft von Facebook verabschiedet habe.

Und jetzt ernsthaft! Gibt es keine anderen Dinge im Leben? Muss ich mich echt über SO ETWAS aufregen, wo es so vielen Menschen auf dieser Welt so schlecht geht? Muss ich dazu beitragen, dass es einfach noch mehr Leuten mies geht, indem ich sie mit Dreck bewerfe? Wirklich?
Ich weiß, das trifft nicht auf alle Menschen zu. Ich habe 7000€ und fünf Sponsoren für  Schulkinder innerhalb von neun Monaten hier aufgetrieben. Und das war nicht mein Verdienst, sondern der meiner Familie in Österreich und von Freunden, die sich so unheimlich viel Mühe gemacht haben. Und dafür kann ich nicht oft genug Danke sagen. Und ich sollte die Charakterstärke besitzen, das zu sehen und nicht Shitstorms gegen irgendwelche Leute. Oder Posts die stolz mitteilen, letzten Abend 100€ für Alkohol rausgeworfen zu haben. 100€ ist ein Volksschuljahr in einer guten Schule für ein Kind hier in Kenia. Und in einer nicht so Guten kann ein Kind damit sogar vier Jahre zur Schule gehen. Gehen wir doch mal Shoppen für 300€ und kaufen uns noch mehr Gewand, das wir nicht brauchen. Damit haben wir dann in einem Tag ein Jahr Highschool auf den Kopf gehauen.

S c h ö n !

Ich habe mich bis jetzt vor solchen Texten gehütet. So „Die Welt ist schlecht und ihr dürft euch nix gönnen und überall verhungern Kinder“. Man soll sich nicht schlecht fühlen weil man in einer besseren Situation geboren wurde als andere. Man soll sich auch nicht schlecht fühlen, wenn man sich mal ein teures Kleidungsstück kauft, das einem richtig gut gefällt. Wenn man mal essen geht, oder ausgeht, oder sich verwöhnt. Das ist nicht falsch. Aber dieses ignorante, verschwenderische, kopflose Leben, das viele führen, da will ich kotzen. Direkt vor ihre Füße, direkt auf die sauteuren Markenschuhe auf die sie sich so viel einbilden. Ich weiß, dass das hier kein einziger Mensch lesen wird, der es lesen sollte. Weil die interessieren sich nicht für so etwas. Leben in ihrer eigenen kleinen Welt, ihr Leben kann furchtbar hart sein, vielleicht wurden sie verlassen oder haben sich mit den besten Freunden gestritten. Das ist natürlich ein sehr schwerer Schlag und das muss ich mit der breiten Öffentlichkeit teilen.

Und ich, ja, ich bin blöd genug, mir das immer wieder zu geben, mich einzuloggen in diesem „Sozialen Netzwerk“ (ist es denn wirklich sozial?) und mich gierig nach Tratsch durch die Neuigkeiten zu fressen, bis ich mich wieder überessen habe und mir einfach nur schlecht ist. Weil eine kleine Ausflucht in diese künstliche, aufgesetzte Welt, die Facebook geschaffen hat, tut manchmal gut nach den Erlebnissen, die ich hier machen darf. Weil ich hier ja auch abgekapselt lebe, und viele Sachen einfach ausblende, weil ein Leben sonst nicht möglich wäre. Ich kann Elend sehen, wie es schlimmer nicht geht, und es berührt mich nicht mehr. Das heißt nicht, dass ich kalt oder emotionslos bin. Ich kann immer noch bei traurigen Büchern oder Filmen heulen und ich fühle mit Anderen. Aber wie soll man sonst irgendwie glücklich sein? Ich blende Elend also aus und lasse es mich nicht zerstören, aber ich vergesse es nicht. Und das tun aber zu viele: vergessen. Ich sage nicht, dass jeder von uns ein Leben voll Traurigkeit führen soll und seine gesamte Energie in die Verbesserung der Welt stecken muss. Aber ab und zu mal nachdenken. Und vielleicht die 20€, die ich für ein weiteres Leiberl ausgegeben hätt, jemandem zugute kommen lassen, der es wirklich braucht. Das ist nicht viel für uns. Aber für viele Leute schon.

Ich selbst lebe ja auch ein absolut scheißprivilegiertes Leben. Mir hat es noch nie an etwas gefehlt und für meine Zukunft stehen mir alle Türen offen. Und es macht mich wütend, dass ich so ein Leben leben darf und andere nicht. Ich habe GELD dafür bezahlt (falsch, meine Eltern haben für mich bezahlt), ein Volontariat hier machen zu können, sprich unentgeltlich zu arbeiten. Ist das nicht paradox? Da hat jemand eine Goldgrube gefunden, Geld zu scheffeln mit den Reichen, die ihr Gewissen beruhigen wollen und sowas machen. Nein, falsch, ich bin nicht hierhergekommen, um mein Gewissen zu beruhigen. Ich weiß auch nicht genau, wieso ich hierhergekommen bin, aber es war die verdammt beste und richtungsführendste Entscheidung, die ich jemals hätte treffen können. Wer oder was auch immer diesen Gedanken in meinen Kopf gepflanzt hat, ich kann nur dankbar sein.
Meistens schäme ich mich hier für meinen Reichtum und mache mich ärmer als ich bin. In Keniaschilling bin ich Millionär. Und ich bekomme mehr Taschengeld als die Arbeiter im Rescue Centre Lohn.

Ich sollte einfach alles hergeben. Ich brauch das alles ja gar nicht. Es wäre ja nicht so, dass ich meinen Reichtum leben würde. Ich spare permanent und weiß nicht mal wofür. Aber alles herzugeben und frei zu sein, dafür bin ich zu feige. Weil ich brauch immer eine Hintertür. Und wenn ich jetzt alles hergebe, wem geb ich das und was geschieht mit dem Rest? Ich will doch noch mehr Menschen unterstützen können. Deshalb kann ich auch nicht auf einer Alm mit einer Kuh und zwei Schafen und zehn Hühnern leben. Weil dann kann ich gar keinem mehr helfen. Nur meinen Tieren. Obwohl das vielleicht auch ganz nett wär.

Montag, 7. April 2014

Henderlmord

Seit eineinhalb Wochen haben wir nun Hühner und grundsätzlich lief alles ganz gut. Die Tiere scheinen sichin ihrem neuen Zuhause wohlzufühlen und nun hat auch eine zweite Henne zu legen begonnen. Letzte Woche ist aber etwas ärgerliches passiert.
Als ich mit meinen Jungs am Morgen das Gehege aufsperrte und nach Eiern suchte, fand ich eine Henne tot in ihrer Box. Irgendetwas war in der Nacht in den Stall gekommen, hatte dem Huhn den Kopf abgebissen und sein Blut getrunken. Das bescheuerte Vieh hat das restliche Huhn nicht einmal angerührt. Es schien fast, als wäre es ihm einfach ein Vergnügen gewesen, die Henne um ihren Kopf zu bringen. Zu allem Überfluss hat der Henderlmörder dann auch noch alle Eier aufgebrochen und ausgetrunken.
Den ganzen Tag verbrachte ich daraufhin damit, sämtliche auch noch si kleine Lücken und Spalten fest zu verschließen. Dieser Vorfall soll der erste und zugleich auch der letzte sein.
Ich habe wohl gute Arbeit geleistet, denn seitdem ist nichts mehr passiert, aber vielleicht sollte ich mich auch nicht zu früh freuen.
Mein Plan zu Beginn der letzten Woche, die Woche etwas entspannter anzugehen, ging irgendwie überhaupt nicht auf, ich war wie die Woche zuvor keine Sekunde lang arbeitslos. Vom Umgraben bis zum Kuhdungschleppen war alles dabei.

Die Müdigkeit, über die ich mich zwei Wochen zuvor beklagt hatte, kam am Samstag mit Malaria zurück. Am Morgen half ich noch auf dem Feld, danach wusch ich meine Wäsche und ging mit zwei Kindern auf den Markt (und kaufte mir eine Strickweste, um die ich noch am selben Abend sehr froh war). Am Abend dann wurde mir urplötzlich elends übel und das Fieber übernahm unbarmherzig die Kontrolle über meinen Körper. Die Nacht war nicht sehr fein, ich machte kein Auge zu und das Fieber wollte gar nicht sinken, mein ganzer Körper schmerzte höllisch und ich war zu schwach, um mich auch nur auf die andere Seite zu drehen. Morgens fühlte ich mich, als hätte mich ein Zug überrollt. Ich habe nicht sehr oft Fieber, aber wenn, dann richtig. Eine Nacht wie diese habe ich glaube ich noch nie erlebt und ich wünsche es keinem.
Ab der Früh ging es bergauf, das Fieber war weg und ich konnte endlich schlafen. Am Nachmittag ging es mir gut genug, um mich zu langweilen, so beschloss ich, ein wenig frische Luft zu schnappen. Mein Weg führte mich hinauf zu Mercy, von wo ich meinen Laptop holen wollte. Das war dann doch etwas zu viel des Guten und ich brauchte eine halbe Stunde Pause, bevor ich wieder zu mir gehen konnte. Am Abend kam das Fieber, allerdings schwächer als am Vortag, zurück, somit war ich mir sicher, dass ich Malaria habe.
Heute geht es mir schon viel besser, ich bin sehr müde und schlafe viel
Ich bekomme ständig Krankenbesuch und jeder kümmert sich rührend um mich.
Am Morgen wurde ich wach, weil jemand in mein Bett gekrochen kam, es war aber kein Einbrecher sondern nur Mercy, die nach mir schauen wollte. Keine zwei Minuten später kam auch Millicent, die begann, mich pausenlos zu fotografieren, weil sie meinte, heute wäre ich besonders schön. Dieses Pink auf meinen Wange stünde mir unheimlich. Danach begann sie mit Mercy, über meine verschiedenen Gesichtsfarben zu diskutieren, was für mich immer sehr amüsant ist. Während sie da waren, wechselte meine Farbe laut ihnen von pink zu gelb und dann wieder zu pink und Millicent begann, ein Video zu machen, um mir den Farbwechsel meines Gesichts später zeigen zu können. So brachte sie auch mich richtig zum Lachen. Danach begann sie eine ihrer Geschichten, die - ganz typisch kenianisch - dreimal so lang war wie eigentlich nötig, da sie immer unendlich weit ausholt um auch ja jedes Detail zu klären. Auch Jane stieß zu uns und wir hatten eine vergnügliche Runde beisammen.
Soeben bekomme ich den dritten Krug Uji (Porridge, allerdings anders als man das bei uns kennt) und ich habe keine Ahnung, wie ich das jemals alles weiterbringen soll.

Sehr viel mehr hab ich nicht zu erzählen, mir ist einfach nur fürchterlich langweilig und schlafen will ich auch nicht mehr.

Sonntag, 30. März 2014

Schwarz-Weiß

Eine anstrengende Woche liegt hinter mir. Von Montag bis Samstag war ich von 8-18 Uhr verfügbar und bin von A nach B und Y nach Z gerannt. Das gab mir wieder das Gefühl, sinnvolle Arbeit zu machen können. War ich eine Zeit lang wieder einfach nur müde, war ich nun zu beschäftigt, um das noch wahrzunehmen. Mein Körper reagiert auf die körperliche Arbeit und die viele Bewegung, vieles fällt mir sehr viel leichter als noch vor ein paar Monaten. Als ich hierher kam, hätte ich nie eineinhalb Stunden ohne Unterbrechung ein Feld umgraben können und danach noch am Hühnersatall weiterbauen. Habe ich die Zeit, gehe ich zu Fuß in die Stadt, und die Strecke kommt mir nur mehr halb so lang vor wie zu Beginn. Einen kleinen Triumph habe ich am Freitag erlebt.

Ich war in der Stadt, um Futter- und Wasserbehälter sowie Futter für die Hühner zu kaufen. Beladen mit den Trögen bezahlte ich im Agrovet den 20-Kilo-Sack. Der Verkäufer fragte mich, ob mein Auto draußen stünde und wollte mit den Sack ins dorthin tragen. Ich verneinte und bat ihn, mir den Sack auf den Kopf zu geben, damit ich zur Matatu-Stage gehen kann. Daraufhin erntete ich nur einen skeptischen Blick, sodass ich den Sack selber auf meinen Kopf hob und meines Weges ging. Nicht wenigen Leuten auf der Straße hing die Kinnlade herunter, als sie da ein weißes Mädchen mit einem Futtersack auf dem Kopf und Sackerln in beiden Händen durch die Stadt maschieren sahen. Dasselbe wiederholte sich, als ich aus dem Matatu ausstieg und dem Conductor sagte, er solle mir den Sack auf den Kopf heben. Auch auf meinem Weg vorbei an Chicago erntete ich erstaunte Blicke. Als ich das Centre betrat, waren die Reaktionen nicht anders, was mich ein wenig ärgerte, da ich in den letzten sieben Monaten wirklich mehr als einmal bewiesen habe, dass ich mir nicht zu schade für körperliche Arbeit bin, und dass ich diese auch sehr wohl verrichten kann, obwohl ich weiß bin. Dann jedoch kam Maggieauf mich zu, und sie konnte sich vor Lachen kaum halten, und dann sagte sie:
"You REALLY are like us. The only difference is the skin colour."
Und das war Balsam für meine Seele. Es hatte siebeneinhalb Monate gedauert, aber jetzt, endlich, hatte eine Person begriffen, was ich seit meiner Ankunft hier beweisen will. Dass wir alle Menschen sind, und dass unsere größte Differenz die Farbe der Haut ist. Das ist für viele oft nicht verständlich. Man glaubt, in Europa leben keine Menschen auf der Straße, niemand ist arbeitslos, alle sind reich und keiner muss hart für sein Geld arbeiten. Ich weiß, dass unsere Armut verglichen mit der in Afrika in keiner Relation steht, aber den Westen als Paradies hinzustellen, ist enfach grundlegend falsch. Und ich hasse dieses Vorurteil, dass Leute, nur weil sie weiß sind, keine Arbeit machen können.
Einige Zeit zurück wollten wir ein paar Säcke Sägespäne holen, so gingen wir los, sechs Leute, sechs Säcke zum Füllen. Die Säcke gefüllt, wurde ich nach meinem Auto gefragt, und ich sagte, wir würden zurückgehen. Daraufhin stellte eine Mitarbeiterin fest: "You can't carry this, it's too heavy for a Mzungu." Sie machte sehr große Augen, als mir Samuel den Sack auf die Schultern lud und wir uns von dannen machten. Die gut 30kg machten sich nach zwanzig Minuten schön langsam bemerkbar, die Kommentare unterwegs (von "Don't mistreat a Mzungu like this!" bis hin zu "My God I think I'm dreaming!") waren aber allenfalls Ansporn genug, mit den Jungs Schritt zu halten und der Versuchung, den Sack abzuladen, zu widerstehen.

Nach dieser Woche allerdings, da sie mich Lasten auf meinem Kopf tragen haben sehen, da ich stundenlang am Hühnerstall herumgehämmert habe, da ich unermüdlich das Feld umgegraben habe (dass ich das im Dezember auch gemacht habe, ist schon lange vergessen), habe ich das Gefühl, endlich auch in dieser Hinsicht Respekt gezollt zu bekommen. Sie behandeln mich als eine Gleiche und wollen mir nicht alle Arbeit sofort wieder abnehmen, ich bin eine der Ihren. Das ist ein sehr gutes Gefühl.

Donnerstag, 27. März 2014

Ein Tag

Was tu ich so an einem Tag? Mehr oder weniger viel! Hier mein heutiger:

Mein Wecker klingelt um 5:45. Gekonnt finden meine Finger die Off-Taste und schalten somit auch die Schlummer-Funktion aus, ohne mich dabei aufzuwecken. Eine weitere Dreiviertelstunde süßen Schlafes, bis sich um Punkt 6:38 meine Augen von selber öffnen. Nun liegt es an mir und meinem eisernen Willen, ob gleich aufzustehen oder nicht. Spätestens nachdem Kathies Wecker um 7:00 geläutet hat, quäle ich mich aus dem Bett und suche zuerst mal einen dicken Sweater, weil es morgens schweinekalt ist. Im Bad verfluche ich den fast leeren Eimer, der mit Schmutzwasser zum Spülen der Toilette gefüllt ist. Nachdem ich im Bad fertig bin, mache ich mich daran, das Geschirr abzuwaschen, das ich am Abend stehen lassen habe. Mit klammen Fingern spüle ich mit dem eiskalten Wasser und ärgere mich über meine Faulheit am Vortag. Als ich frisches Wasser aus dem Kanister nachfüllen will, geht wie jeden Tag die Hälfte auf den Boden. Hatte ich am Vortag die Motivation, Milch zu kaufen, koche ich Tee, im Moment Masala Chai mit viel Tangawizi (getrockneter Ingwer). Im Idealfall dazu noch ein Mandazi.
Um 8, heute bin ich etwas spät dran, verlasse ich das Haus und geselle mich zu den Kindern. Beim Betreten des Büros habe ich sofort die Ehre eines Vortrags unseres allseits geliebten Herrn Arap Too, der heute wieder die Weisheit mit dem Löffel gefressen hat. So verlasse ich das Büro schnell wieder und mache meine Halskette, die ich vor über einer Woche begonnen habe, endlich fertig. Danach laufe ich noch einmal zum Haus, ich habe mein Kopftuch vergessen. Während ich um 9:00 den Hügel zu unserem Maisfeld raufsteige, binde ich es mir fest um den Kopf, damit ich mir nach getaner Arbeit nicht wieder Kiloweise Erde aus den Haare fitzeln muss. Haare waschen ist gerade nicht so lustig, da wir kein Wasser haben.
Eineinhalb Stunde reiße ich mit einer Jembe tiefe Wunden in die Erde, um das Maisfeld umzuackern. Danach sind die Blasen vom Vortag offen und brennen, und außerdem hab ich Mwangi versprochen, ihm bei der Ferigstellung des Hühnerstalles zu helfen. Also geh ich wieder runter, direkt zum Hühnerstall, bei meinem Tatendrang brauche ich keine Pause. Die Sonne hat mittlerweile ihre volle Kraft erreicht und brennt erbarmungslos vom Himmel. Sonnenbrand schleicht sich auf leisen Sohlen von hinten heran. Als ich die Gefahr bemerke und mich eincreme, hat er schon meinen Rücken und mein Dekolletee erobert. Naja, hilft ja nix, der Hühnerstall muss fertigwerden, heute kommen endlich die Hühner. Wie immer stellen sich unsere Vorhaben nicht so einfach heraus wie gedacht, doch mit Kreativität und Einfallsreichtum gelingt alles. Ich arbeite echt gerne mit Mwangi zusammen. Eine halbe Stunde Pause gönne ich mir zu Mittag, in der ich Wasser schöpfen gehe. Denn wie gesagt, kein Wasser im Haus. Dreißig Liter später mache ich mich auf zurück zum Hühnerstall. Ich spüre, dass ich heute schon viel getan habe und die Kinder, die mir entgegenlaufen, sind doppelt so schwer wie normal. Weiter geht's, bis halb vier. Dann bin ich alle. Also rauf zu Mercy, nach einem Glas Wasser und Hilfe beim Aufräumen fragen. Im Haus keine Mercy, nur ihre Schwester Sarah, die draufkommt, dass sie Steffi vom Kindergarten abholen muss. Also keine Hilfe beim Aufräumen, stattdessen ein Brolin zum Aufpassen. Wieder aufstehen, das Haus verschließen, Brolin nehmen und ein paar Kinder zusammentrommeln. Nach zwanzig Minuten seht die Umgebung des Hühnerstalls nicht mehr wie ein Schlachtfeld aus. Und da kommt auch Sarah und nimmt mir Brolin ab. Ausruhen! Ausruhen? Neeeh! Die Kinder wollen ihre Perlen. Also flüchte ich mich ins Haus, ich habe sowohl Erde am ganzen Körper als auch Sägespäne in der Unterwäsche. Jetzt bin ich froh, dass ich die Mittagspause zum Wasserholen genutzt habe. Es ist halb fünf, und ich bitte Mercy, mir Obst aus der Stadt mitzubringen. Nachdem ich mich gewaschen habe, kommt mein Obst. Drei Mangos für 50 Shilling (weniger als 50Cent) und eine Ananas zum selben Preis. Wieder rauf ins Büro, die Hühner sollen bald kommen. Das tun sie dann schließlich um halb sieben. Aber nur fünf der elf sind da, wieso sollte auch irgendwann einmal etwas nach Plan laufen? Schon während der Fahrt hat eines ein Ei gelegt, ein anderes kommt, während wir die Hühner an den Beinen nehmen und kopfüber in den Hühnerstall tragen. Ich werte das als gutes Omen, auch wenn das Ei hinunterfällt und zerbricht.
Danach geh ich rauf zu Mercy. Hab echt keine Lust zu kochen, und wenn ich Glück habe, gibt's sogar Eier oder Fleisch.
Richtig müde strecke ich mich auf dem Sofa aus, doch Steffi lässt das nicht zu, sie will spielen. Nicht heute, nimechoka sana! Der Strom fällt aus und alle hoffen inständig, er ist bin zu La Patrona, unserer Soap, wieder zurück. Ist er, und wir schauen, und essen (es gibt Eier!) - ich esse für zwei, weil ich das Mittagessen ausgelassen habe, und meine Augenlider werden immer schwerer. Also geht's heute schon um halb neun nachhause. Während des Hinuntergehens mache ich meine To-Do-Liste, die immer länger wird, da ich nur die Hälfte meiner Punkte an einem Tag abarbeiten kann meistens. Also, in der Früh aufs Maisfeld, danach den Hühnerstall noch vollkommen fertigstellen, danach in die Stadt, Hühnerfutter kaufen, Fotos entwickeln, DVD kaufen, nach einem Schulbuch sehen. Zurück, schauen, wie alles läuft, mittagessen, auf den Markt mit ein paar Kindern, wieder ins Centre, Betty zeigen, wie man die Halskette macht, die ich heute fertiggestellt habe. Und Palatschinken wollte ich eingentlich auch machen.
Dass ich das niemals schaffe, weiß ich jetzt schon.
Ich öffne die Tür zu unserem Compound und gehe über das leicht feuchte Gras auf unser Haus zu. Gleich bin ich daheim.

Mittwoch, 26. März 2014

Welten

Nach einer Woche mieser Laune ging es wieder bergauf, und zwar steil. War es die Unterstützung, die ich immer und immer wieder von Österreich bekomme und das Vertrauen, das mir die Menschen schenken und das ich sehr schätze, oder die Tatsache, dass man manchmal lange warten muss, bis die Früchte seiner Arbeit sichtbar werden.

Mit Raph bin ich zum Kerio Valley gefahren, das nicht weit von Eldoret liegt und mit atemberaubender Schönheit prahlt. Das Great Rift Valley ist ein Graben, der sich durch ganz Ostafrika zieht und somit auch den Westen Kenias mit dieser klaffenden grünen Wunde ziert. Dieser Ausflug hat die Reiselust in mir wieder geweckt, und man muss gar nicht weit fahren, da Eldoret eigentlich ein idealer Ausgangsort für Reisen ist.

Wir haben im Centre einen neuen Jungen bekommen, der uns alle fordert. Er ist um die vier oder fünf Jahre alt und legt ein sehr eigenes Verhalten an den Tag. Ob das einer psychischen Störung obliegt und ob diese angeboren oder durch traumatisierende Erlebnisse aufgetreten ist, darüber wird gerade viel diskutiert. Der Name des Jungen ist nicht ganz sicher, da wir nicht wissen, ob wir ihn richtig verstehen.
Er ist intelligent und weiß, welches Verhalten angebracht ist und welches nicht. Er versteht sich nicht sehr gut mit den anderen Kindern und streunt am liebsten im Büro der Sozialarbeiter herum. Wenn man ihn dazu bringen will, irgendwohin zu gehen, beginnt er zu schreien, bekommt plötzlich fürchterliche Angst und läuft weg. Sobald man ihm seine Freiheit zu nehmen scheint, bekommt er Panik. Er kann nicht in die Vorschule, da er es nicht aushält, in diesem Raum zu bleiben. Sobald man ihn hineinbringt, beginnt er zu schreien, und er hört erst auf, wenn er wieder draußen. Schon zweimal hat er mich mit Steinen beworfen, als ich ihm etwas nicht gegeben habe, und er weiß selber sehr genau, dass das nicht richtig ist.
Er stellt uns vor ein Rätsel, da hier keiner dazu ausgebildet ist, sich mit Kindern mit speziellen Bedürfnissen zu befassen. Oftmals finde ich das Verhalten der Kollegen allerdings unangebracht, da ich nicht viel Sinn darin sehe, ein schon verängstigtes Kind mit Drohungen noch mehr zu verschrecken.
Aber was Kindererziehung, ob nun speziell oder nicht, betrifft, geht meine Meinung mit der einiger hier sowieso sehr auseinander.

Wie sehr ich mich hier wohlfühle macht mir manchmal fast Angst. Ich liebe es, durch die Nachbarschaft zu streifen und die Eindrücke aufzusaugen. Beim Chapati-Mann zu stoppen und ein Chapati für 10 Cent zu kaufen. Oder bei der Tip Top Dairy "das Übliche" für den Abend zu holen. Ein kurzer Tratsch mit der Gemüsefrau, nach deren Namen ich permanent zu fragen vergesse. In die verschiedenen Estates zu gehen ist wie von einer Welt in die nächste zu schlüpfen.
Mwanzo ist verwinkelt und mit vielen Wegen, Abkürzungen, Unabkürzungen, Sackgassen. Geht man seinen Weg, sieht alles verschlossen, abgewendet aus, doch dann plötzlich öffnet sich die Gasse zu einem kleinen Platz voller Leben. Durch einen fehlenden Ziegelstein oder ein Fenster in der Mauer blickt man in die Höfe der Häuserreihen. Eine Häuserreihe teilt sich in drei bis sieben Ein- oder Zweiraumwohnungen, und zwei dieser Reihen wenden sich einander zu. In dem Raum dazwischen hängt die Wäsche, spielen die Kinder, unterhalten sich die Mütter und Hausmädchen.
Von oben sieht Mwanzo ein wenig aus wie eine orientalische Stadt, nur ohne prunkvolle Moscheen. Man kann das Estate leicht von oben überblicken, da die meisten Häuser nur ein Erdgeschoss haben. Darauf Rauchfänge, Fernsehantennen und ein heilloses Stromkabelgewirr. Die sandige Farbe der Gebäude und der Staub komplettiert das Bild. Manchmal geh ich auch gerne in einen Innenhof und spähe in leerstehende Wohnungen. Und schon beginnen sich Möbel, die ich beim Schreiner nebenan kaufen würde, natürlich nicht ohne erbarmungslos gehandelt zu haben, selber an die richtigen Plätze zu schieben und ich erträume mir mein Leben in dieser kleinen Wohnung für 35€ pro Monat. Dann würd ich mir jeden Tag ein Chapati vom Chapati-Mann kaufen und die Tip Top Dairy wäre auch nicht weit entfernt. Vor der Haustüre würde ich die Kohle für meinen Jiko ausbreiten und in der Sonne trocknen, gleich daneben ein paar Blümchen pflanzen. Und wenn uns ein plötzlicher Schauer überrascht, würde die Nachbarin die Wäsche für mich abhängen. Von draußen würde ein "Hodi?" ertönen und mit einem "Karibu!" lüde ich den unangemeldeten Besuch in mein Haus ein.
Dann reißt mich ein Geräusch aus dem Tagtraum und ich mache mich aus dem Staub, denn Leute sehen mich schon seltsam an, was drückt sich ein Mzungu hier die Nase an einem Fenster platt?

Kamukunji ist arm. Sehr arm. Hier sind die Häuserreihen nicht aus Stein, sondern aus Lehm. Hier gehe ich nicht sehr oft alleine herum. Es ist unvergleichbar schmutziger als in Mwanzo und es stinkt. Aber man bekommt billiges Gemüse. Hier wird mir viel nachgerufen und ich treffe manchmal Straßenkinder, die mal im Rescue Centre waren und wieder weggelaufen sind. Die Armut ist allgegenwärtig. In Mwanzo hängt so manches Tor zu einem Hof schief in den Angeln, hier gibt es keine Tore. Das Abwasser würzt die Abendluft und während der Regenzeit ist ohne Gummistiefel nicht an Hinausgehen zu denken.

Huruma. Huruma wächst. Huruma hat Zeigelhäuser und Lehmhäuser. Mwanzo ist schon gedrängt und zusammengestoppelt, aber kann nicht mit der explosionsartigen Vergrößerung dieses Estates mithalten. Die Häuser ploppen irgendwie und irgendwo aus dem Boden. Hier gibt es einfach ALLES. Und Huruma ist günstig. Huruma hat ein Spital. Huruma hat eine große Primary School. Huruma ist sein eigenes kleines Städtchen für sich. Bewegt man sich immer weiter in das Estate hinein, wird das Leben elender, und der Gestank der Schweine, des Abwassers und des lokalen Gebräus treibt einem Tränen in die Augen und lässt den Kopf schwummrig werden. Die Häuser sind aus Lehm und Erde und oft abrissreif, dennoch werden sie von Menschen belebt. Dennoch mag ich Huruma. Es hat trotz allem diesen Lebensgeist in sich, es ist ständig in Bewegung.

Kidiwa ist geplant, hier stehen einzelne Häuser in Reih und Glied, keines hängt mit dem anderen zusammen. Zwischen den Häusern wächst Gras und alles ist geordnet. Ein Haus in Kidiwa oder U E zu bekommen, ist praktisch unmöglich. Die Besitzer wechseln nicht sehr oft, und wenn, dann bleibt das Haus doch zumindest in derselben Verwandtschaft. Es sind Orte zum Leben, aber die Orte selber sprühen nicht so vor Leben wie die oben beschriebenen. Das bunte Durcheinander wird durch System und Organisation ersetzt.

Damit beschließe ich diesen Eintrag, da die Blasen an meinen Händen zu brennen beginnen. An das Beackern der Felder werden sie sich wohl noch länger nicht gewöhnen. Schön, dass noch ein Haufen Arbeit vor uns liegt.